Die Geschichte von Anna Nackt.
„Hey Anna, kannst du mich bitte schnellstmöglich anrufen? Ist wichtig. Hier meine Nummer.“
Das war die Nachricht, die ich im März 2019 von einem alten Schulfreund bekommen habe. Die letzten Nachrichten, die wir davor ausgetauscht hatten waren zu meinem Geburtstag vor drei Jahren - im Sommer 2016. Mein erster Gedanke war: “oh Gott, es muss jemand gestorben sein.” Ich saß gerade in einem Hotel in Paris, um einen unserer wichtigsten Kunden bei einem Projekt zu begleiten.
Am Telefon kommt mein Schulfreund direkt zur Sache „Anna, ich glaube es sind da Sachen von dir im Internet, die da nicht sein sollten.“ Er hatte Recht: auf mehreren Porno-Websites war eine Galerie aus Bildern und Videos von mir veröffentlicht – Bildern, auf denen ich nackt bin, aber auch nicht-nackten Bildern mit meinem Freund und mit Freunden beim Ausgehen. Die Galerie ist sorgfältig und gezielt zusammengestellt worden: neben meinem Vor- und Nachnamen hat der Täter auch einen Screenshot von meinem Facebook-Profil veröffentlicht.
Erst dann habe ich gemerkt, dass ich in den letzten Tagen bei Facebook mehrere Nachrichtenanfragen bekommen habe, von Männern, mit ihren Penissen und meinen Bildern.
In mir: Panik – wenn es schon ein alter Schulfreund gesehen hat, wer dann noch aus unserem Dorf und der Kleinstadt nebenan? Haben es Leute bei der Arbeit gesehen?
Und wird es vielleicht noch weiter verbreitet? Hilflosigkeit – jeder weiß doch „einmal im Internet, immer im Internet“! Wut über die Ungerechtigkeit – Das kann mir gerade einfach nicht passiert sein und what the fuck geht in Menschen vor, die so etwas machen?
Im ersten Moment bin ich in den totalen Aktionismus verfallen. Zum einen wollte ich (natürlich), dass die Inhalte so schnell wie möglich offline gehen. Zum anderen hatte ich dadurch auch keine Zeit noch weiter in Panik zu verfallen.
Ich habe 110 gewählt und bin ich bei der Pariser Polizei gelandet – in völliger Überforderung das auf Französisch zu erklären, habe ich irgendwas gestammelt und dann einfach aufgelegt. Dann habe ich die Polizeistation meiner Stadt angerufen. Die Anweisung dort: ich solle Anzeige über das Online Portal „Internetwache“ erstellen und möglichst viele Screenshots machen. „Okay, können sie mir helfen die Bilder offline zu nehmen?“ „Nicht wirklich, sie wissen ja: Sachen, die einmal im Internet sind, bleiben im Internet. Wenn Sie Glück haben, nimmt die Website die Inhalte runter. Wir schreiben denen auch nochmal, aber in der Regel dauert das. Vielleicht können Sie bei Google jemanden telefonisch erreichen, damit es da zumindest nicht zu finden ist?“. Ich wusste nicht, ob ich über den Vorschlag lachen oder weinen sollte.
Ich habe die Screenshots gemacht und Anzeige über das Internetwache-Portal der Polizei erstattet. Ich habe den Websites geschrieben, dass sie den Inhalt sofort runternehmen sollen (ohne große Hoffnung, dass sie es wirklich tun werden). Ich habe meinen Freund angerufen und er hat angefangen die Suchmaschinen zu kontaktieren. Ich habe Freundinnen angerufen, die Jura studieren, im Tech-Bereich arbeiten oder von denen ich irgendwie gedacht habe, sie könnten mir helfen. Ich habe bei der Arbeit gesagt, dass ich einen Familiennotfall habe.
Erst fünf Stunden später, gegen 23 Uhr, wusste ich nicht mehr, was ich sonst noch machen sollte und bin aufgelöst und erschöpft eingeschlafen.
In den Tagen darauf bin ich zwischen Verdrängung und Aktionismus geschwankt. Immer noch in Paris, immer noch auf dem Projekt habe ich mich entweder komplett in die Arbeit gestürzt oder stundenlang eingeschlossen und sämtliche Suchmaschinen nach meinem Namen durchsucht.
Die gute Nachricht: die Inhalte wurden tatsächlich runtergenommen. Seitdem sind sie immer mal wieder aufgetaucht. Wahrscheinlich sind sie immer noch irgendwo online, nur ohne meinen Namen und damit schwieriger zu finden.
Die weniger gute Nachricht: die Polizei konnte mir bisher nicht helfen.
Wir wissen immer noch nicht, wer es war, wie er genau daran gekommen ist und ob noch mehr Bilder und Videos kommen werden.
Ich wünsche mir, dass es in der Zukunft wirkliche Unterstützung gibt – mit hilfreichen Informationen, auf Augenhöhe und ohne beschuldigende Kommentare. Dieses Portal ist der Anfang.
An alle Annas da draußen: Es ist nicht Eure Schuld. Sprecht mit Menschen, denen ihr vertraut und Ihr werdet für Euch einen Weg finden damit umzugehen!
Wir haben für Euch eine Checkliste mit allem was ihr tun könnt sowie oft gestellte Fragen gesammelt.. Beides könnt ihr Euch auch per E-Mail schicken lassen.